Tektonik

Architektur in der Natur Islands

Iceland Cave Tower-Wettbewerb
Masterthesis, Wintersemester 2020/21

 
 

Als eine der schönsten geothermischen Becken der Welt sind die Grjótagjá-Höhlen im Norden Islands heute weltberühmt. Leider wurden die Höhlen, aber auch die natürliche und empfindliche Umgebung, durch den übermäßigen Tourismus stark geschädigt, weshalb die Höhleneingänge 2018 geschlossen wurden.

In Zusammenarbeit mit den Landbesitzern, auf deren Land sich die Höhlen befinden, wurde Mitte 2020 unter dem Namen ‚Iceland Cave Tower‘ ein internationaler Design-Wettbewerb ausgeschrieben. Gesucht war eine Art ‚Haltepunkt’, den die Touristen besuchen müssen, bevor sie die Höhlen erkunden können.

 
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Zwischen zwei Kontinenten

Der flache See Mývatn (dt. ‚Mückensee‘) gilt als das landschaftliche Juwel des Nordens und ist das beliebteste Reiseziel in Nordisland. Die Region um den Mývatn ist weltbekannt für seinen großen Reichtum tektonischer und demzufolge auch vulkanischer Naturphänomene, da das Zentralvulkansystem Krafla, eines der aktivsten Vulkangebiete der Welt, die Region durchzieht.

Stark ausgebildete Abschiebungen, offene Spalten an der Oberfläche, Kraterreihen, Geothermalgebiete und unterirdische Höhlen zeugen in der Nachbarschaft der kleinen Siedlung Reykjahlíð von den plattentektonischen Vorgängen in der Riftzone Nordostislands.

 

Region Mývatn

 
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Vulkanismus

Island ist die größte Insel auf einem ozeanischen Rücken, was seine Geologie in vielerlei Hinsicht einmalig macht. Nur dank eines sehr aktiven ‚Hotspots‘ über einem äußerst wirksamen Mantelplume an der Grenze der Eurasischen und der Nordamerikanischen Platte gibt es das Land, welches wir als Island kennen.

Ist die Erdkruste im Durchschnitt etwa 100 Kilometer dick, beträgt dieser Wert hier gerade einmal einen Bruchteil. Dies sorgte unter anderem dafür, dass gigantische Massen an Magma aus dem aktiven vulkanischen Rift auf den Meeresboden strömte und die Insel entstand.

 
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Mittelatlantischer Rücken

Infolge der Plattentektonik entlang der Riftzone, die das Land von der Reykjanes-Halbinsel im Südwesten bis zur Oxarfjörður-Bucht im Nordosten zerschneidet, wird Island auseinandergerissen. Hier verläuft die Grenze zwischen der eurasischen und der nordamerikanischen Kontinentalplatte, welche das Gebiet auch heute noch vulkanisch aktiv macht.

Die Kontinentalplatten bewegen sich etwa zwei Zentimeter im Jahr auseinander. Dadurch kommt es auch gegenwärtig immer wieder zu Vulkanausbrüchen und Erdbeben auf Island. Durch die hohe Aktivität und unterirdische Lavaproduktion ist Island zudem sehr reich an geothermalen Gebieten mit heißen Quellen, Schlammtöpfen, Fumarolen und Schwefelausblühungen.

 
Krafla-Vulkansystem

Krafla-Vulkansystem

Geothermalgebiet Námaskarð

Geothermalgebiet Námaskarð

Vulkankrater Hverfjall

 
Mittelatlantischer Rücken

Mittelatlantischer Rücken

 
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Grjótagjá

Neben dem Abschnitt der Verwerfungszone bezeichnet der Name gleichzeitig auch eine Ansammlung von drei kleinen Höhlen mit geothermischen Quellen, die heute weltweit bekannt sind. Durch den stark wachsenden Tourismus haben sich die Bedingungen Grjótagjá’s allerdings deutlich verschlechtert. Hunderte Besucher täglich sorgen dafür, dass in den Höhlen nicht nur geschwommen wird, sondern diese auch als Toilette oder Schlafplatz genutzt werden. Zudem hinterlassen die Besucher viel Müll und einige Graffiti’s sind erschienen.

Dies hatte Mitte 2018 die Schließung der Höhlen durch die Landbesitzer zur Folge. Mithilfe einer verbesserten Infrastruktur und eines durchdachten Konzepts sollen die Höhlen aber wieder für den Tourismus geöffnet und die geothermischen Pools als Badestelle genutzt werden können.

Wettbewerbsprogramm

  • Landmarke (aus der Ferne sichtbar)

  • Aussichtsplattform (5 Personen und höchstens 3 Geschosse)

  • Besucherwartebereich

  • Informationsstand (Plakate, Banner, Flyer)

  • Büro (1 Arbeitsplatz)

  • Café mit Getränken und Snacks (10 Personen)

  • Toiletten

  • Lager (10 - 15 m²)

  • Parkplätze (von der Höhle weiter entfernt; 30 Autos)

  • Zirkulation

  • Gehwegmodul (das im gesamten Gelände als Gehsteige, Treppen und ggfs. Brücken zu den Höhleneingängen nachgebildet werden kann)

Anforderungen an Projektvorschläge

  • Kostengünstiger Bau für abgelegene Gebiete

  • Beständig gegen Hitze, Kälte, Regen, Schnee und Wind

  • Umweltbewusst und energieeffizient

  • Erzeugt eigenen Strom und liefert sauberes Trinkwasser

  • Geringe Wartung in Bezug auf Aufwand und Kosten

Die aufgeführten Projektqualitäten sind Mindestanforderungen. Das Wettbewerbsprogramm ist flexibel, offen für Anpassungen und verbesserte Entwicklungsstrategien.

Lageplan

Dachaufsicht

Dachaufsicht

Grundriss

 

1 Aussichtsturm

2 Umkleide

3 Lager

4 Infobereich (Poster, Banner, Flyer)

5 Toiletten

6 Küche

7 Büro

8 Wartebereich

9 Café

10 Müll

11 Technik (u. a. Wärmepumpe, Wasserspeicher)

12 Gehweg

 

Eindrückende Kerben in der Kubatur des Gebäudes nehmen die raue und bergige Umgebung aus scharfkantigen Lavafelsen und Vulkanen auf und passen den Neubau dem außergewöhnlichen Terrain an, sodass dieser mit der Natur verschmilzt.

 
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Konstruktion

Der Neubau an der Grjótagjá-Höhle besteht aus einer Holzrahmenkonstruktion, einer Bauweise, die heute in den skandinavischen Ländern sehr beliebt und weit verbreitet ist. Vorteile liegen in der Baulogistik, dem Materialbedarf und den Dämmeigenschaften.

Die tragende Holzkonstruktion ist nach außen mit einer vertikalen Lattung aus Hartholz verkleidet, deren Oberfläche geflammt wurde. Dies macht das Holz aufgrund der Karbonisierung langlebiger, wasserdicht, feuerhemmend und schädlingsabweisend. Zudem fügt sich das verbrannte, geschwärzte Material gut in die dunkle Vulkanlandschaft ein.

 
Fassadenschnitt

Fassadenschnitt

Fassadenansicht

1 Dach

extensive Begrünung
Torf zweilagig ca. 100 mm
Filterschicht
Abdichtung Kunststoffbahn
OSB-Platte 20 mm
Konterlattung 35/70 mm
Lattung 35/35 mm
Windpappe
Sparren BSH 60/240 mm,
dazw. Wärmedämmung
Steinwolle 220 mm
Dampfsperre
Schallschutzplatte 35 mm
Schallschutzfolie
Gipskartonplatte 2x 13 mm
Putz weiß gestrichen 1 mm

2 Fassade

Lattung Hartholz 60/60 mm,
ungehobelt, geflammt, auf Lücke
Konterlattung 30/50 mm
Lattung 30/50 mm
Windpappe
OSB-Platte 25 mm
Holzständer BSH 60/220 mm
dazw. Wärmedämmung
Steinwolle 220 mm
Dampfsperre
Holzlattung 35/35 mm,
Installationsebene
Gipskartonplatte 2x 13 mm
Putz weiß gestrichen 1 mm

3 Fußboden

Heizestrich 70mm,
Oberfläche geschliffen, poliert
Wärmedämmung 180 mm
Dichtungsbahn Bitumen
Bodenplatte Stahlbeton 200 mm
Sauberkeitsschicht 50 mm

4 Innenwand

Putz weiß gestrichen 1 mm
Gipskartonplatte 2x 13 mm
Holzständer BSH 50/150 mm,
dazw. Hohlraumdämmung
Gipskartonplatte 2x 13 mm
Putz weiß gestrichen 1 mm

Fassadenschnitt horizontal

Eine Schicht aus Torf und eine extensive Dachbegrünung auf einer Holzrahmenkonstruktion mit Sockel bilden das ‚heimische‘ Rasendach, eine Reminiszenz an die ursprüngliche isländische Bauweise der alten Torfbæir (isl. für Torfhaus).

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Gehwegmodul

Der Gehweg ‘schwebt’ über seine gesamte Länge etwa 50 Zentimeter über dem empfindlichen Boden, um in diesen möglichst wenig einzugreifen. Unterstützt wird dies durch die Schraubpfähle, die sich ohne große Maschinen in die Erde drehen lassen. Je nach Bodentyp und -bedingung können die Pfähle aber auch für den felsigen Lavaboden angepasst werden.

Eine behutsame Wahl der Materialien bestehend aus Holz und schwarz lackiertem Stahl lässt den Gehwegpfad nahtlos in die Umgebung integrieren und stellt somit einen Dialog mit dem Besucherzentrum und der Natur her.

 
Schnitt A-A

Schnitt A-A

Schnitt B-B

Schnitt B-B

Aufsicht

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Aussicht

Atemberaubende Landschaften und unendliche Weiten durchziehen Island und machen das Land zu einem sehenswerten Urlaubsziel. Um sicherzustellen, dass die Insel auch für die kommenden Generationen so faszinierend bleibt, ist es wichtig, dass bei einer Bebauung die fragile Natur möglichst wenig zerstört wird. Dies gehört auch zur isländischen Tradition, denn mit dem Torfbæir bauten bereits die ersten Siedler Gebäude, die sich perfekt in die Landschaft einfügten.

Der geplante Entwurf ist Teil einer Neuinterpretation dieses Gedankens. Neben der Schlucht der Verwerfungszone prägen Lavafelder, kantiges Gestein und eine niedrige Flora das Grundstück. Das Besucherzentrum fügt sich durch seine gradlinigen Kanten sowie den rustikalen Materialien aus geflammtem Holz und Beton harmonisch und mit Bedacht in diese Umgebung ein.